In letzter Zeit sehe ich in den social Medias vermehrt Posts von Hunden – auffallend oft Australian Shepherds –  die ein neues Zuhause suchen. Junge Hunde, die schon im Alter von ein paar Monaten umplatziert werden müssen 😕 Die meisten Posts fangen in etwa wie folgt an:

[Name hier eingeben] ist ein rassetypischer Australian Shepherd, sehr aktiv, lebendig, tut sich schwer mit Grenzen akzeptieren, zeigt sich respektlos gegenüber dem Besitzer und braucht noch etwas Erziehung. Die Halter sind mit dem Hund überfordert, weil er viel Aufmerksamkeit braucht, wir suchen für ihn erfahrene bla bla bla…. Und jedesmal denke ich: WTF 😱….?? Seit wann sind unbegrenztes Verhalten und Respektlosigkeit ein Rassestandard? Und die zweite Frage, die sich sogleich in meinen Fokus drängt ist: welcher MDR1 Status hat dieser Hund?

Natürlich kann man über die Hintergründe der jeweiligen Geschichten nur spekulieren, man ist ja nicht an der Front und sollte sich kein Urteil bilden. Wer mich kennt weiss, dass ich trotzdem meinen Senf dazu gebe 🤷‍♀️ denn ich sehe in dieser bedenklichen Entwicklung zwei Hauptursachen: Einerseits wird dem MDR1 Gendefekt und seinen Auswirkungen nach wie vor zuwenig Beachtung geschenkt und andererseits werden die Welpen viel zu früh vom Wurf getrennt. Die kleinen Hunde haben keine Chance, Hundekommunikation, Frustrationstoleranz, Umgangsformen, Grenzen akzeptieren etc zu lernen. Wenn der Welpe dann noch zu jemandem kommt, der sich mit der Rasse nicht auskennt, muss diese Konstellation zwangsläufig in einem Desaster enden 🤯 Aus dem kernigen, urtypischen Arbeitshund muss ja auch auf biegen und brechen ein schicker, pflegeleichter Familienhund herausgezüchtet werden….

Was das Abgabealter von Welpen betrifft, habe ich eine ganz klare, nicht verhandelbare Meinung: Bis zur 12. Woche gehört der Welpe zu seiner Mam und den Wurfgeschwistern, Punkt, Aus, Ende. Und zwar nicht, weil ICH das für gut befinde, sondern, weil die Natur dies so vorgesehen hat 🐶 Doch dieses Thema ist heute nicht der Hauptakteur dieses Beitrages, sondern auf dieser Seite geht es um den MDR1 Gendefekt, der nach wie vor gerne schön geredet wird.

Seit Dezember 2022 bereichert ja die kleine Nisha, eine Australian Shepherd Hündin, unser Leben. Ihre ersten drei Lebensmonate verbrachte Nisha draussen – ja, ihr habt richtig gelesen, DRAUSSEN – in einer gemischtaltrigen, -rassigen und -geschlechtlichen Hundegruppe. Nisha hat den MDR1 Status +/-. Und ja, die Züchterin hatte mich darüber informiert und ich habe mich bewusst für Nisha entschieden. Wenn jemand mit MDR1 Hunden umgehen kann, dann wohl ich 😉 Nisha ist natürlich eine aktive, lebendige Hündin; hoffentlich auch, sie ist ja noch ein halbes Puppy. Aber wir haben Regeln, die von Nisha ohne Wenn und Aber akzeptiert werden. Und wir haben Grenzen, auch kein Thema, denn Nisha wurde von ihrer ‘Familie’ gut darauf vorbereitet. Und wir machen Training.

Das Wissen 📖 über den MDR1 Gendefekt hilft mir, Nisha’s Verhalten besser einschätzen zu können. Tut sie, was sie tut, weil sie ein Puppy ist? Kommt sie mit dem Training, das wir machen, zurecht? Ist sie überfordert, gestresst oder klopft langsam die Pubertät an? Junghunde sind anspruchsvoll, brauchen viel Verständis, vor allem in der pubertären Phase. Im ersten gemeinsamen Jahr mit einem Hund kommt viel auf den Vierbeiner und den Halter zu. Es braucht Durchhaltevermögen und es braucht Wissen. Denn Wissen ist Macht. Und es ist die Aufgabe UND die Verantwortung der Züchter, den neuen Besitzern soviel Wissen wie möglich mit dem Welpen zu übergeben. Und dazu gehören nun mal auch die Auswirkungen des MDR1 Gendefektes auf das Verhalten betroffener Hunde. So wird zumindest von dieser Seite aus alle getan, um zu verhindern, dass Junghunde wie Waren zurückgegeben und wieder vekauft werden.

Du findest das Thema als Videobeitrag auch auf Facebook

 

Heute ein Beitrag von Heike 😊

«Am 8. Januar dieses Jahres purzelte Monty, ein Australian Shepherd, in unser Leben. So fing alles an.

Nachdem unser Schäferhund Dexter im September letzten Jahres erlöst werden musste, fielen wir erstmal in ein tiefes Loch 😕 Jeder, der Tiere liebt, wird verstehen, wie es ist, wenn ein Familienmitglied plötzlich nicht mehr da ist. Unser Milow, ein Westie, war die einzige Fellnase, die noch da war. Milow ist 7, war immer gewöhnt, einige pelzige Mitbewohner als Kumpel in seinem Leben zu haben. Die Zeit verging und wir merkten immer mehr, dass etwas fehlt in unserem Leben. Unser Milow war auch nicht mehr so, wie er früher war, mit Kumpel Dexter war immer Leben in der Family. Nun war alles irgendwie anders. Milow litt unter der Situation, jammerte, wenn wir mal unterwegs waren und er nicht mit konnte. Also kam es irgendwann, wie es kommen musste.

Es wurde gegoogelt ohne Ende 🧐 Welche Rasse, was passt zu uns, welchen Charakter sollte er haben ?! Die Rasse war dann schnell gefunden, ein Aussie sollte es werden… Steckbrief: intelligent, beschützend, anhänglich, aktiv, sehr gelehrig… klingt super, das war das, was wir wollten.  Also haben wir aktiv nach Inseraten gesucht und irgendwann das Bild von Monty gesehen. Ja, wenn es dann Klick macht, sozusagen… Liebe auf den ersten Blick, der oder keiner… er wurde es  dann auch.

 

Anfang Januar zog Monty dann bei uns ein. Wir konnten es gar nicht erwarten. Natürlich zieht mit einem Welpen auch der Stress ein. Viele Sachen mussten wir Zweibeiner auch wieder lernen, z. B. Schuhe wegräumen, nichts stehen lassen, was gefährlich wird. Aber „Mensch“ ist ja auch lernwillig, ein Hundebaby zeigt schon, worauf man achten muss.

So vergingen die Wochen. Wir meldeten uns auch im Welpenchat seiner Geschwister an, um Erfahrungen auszutauschen. Wir fanden das eine gute Sache. Viele zeigten ihre Fortschritte, einige auch ihre Probleme. Manches erschreckte einen doch. Wir fanden viele der Welpen hyperaktiv, na ja, sind ja laut Infos aktive Hunde. Da gab es auch Videos von Welpen, die sich dauernd in Pfoten und Schwanz beißen, ihre Menschen und Gegenstände attackieren. Auf Kommandos reagierten sie kaum. Man ist da eigentlich froh, dass es einen selber nicht betrifft 🤨 Aber irgendwann gab es halt auch bei uns die Situationen, die anstrengend wurden. Je älter Monty wurde, desto eher wurde einem klar, dass es mit überschwänglichen Welpenspiel wenig zu tun hatte. Irgendwann müsste er ja auf Kommandos reagieren. Beispiele waren unter anderem Begrüßungen. Wenn Herrchen von der Arbeit kam oder Besuch, jeder wurde angesprungen, er konnte sich aber nicht beruhigen. Wir schimpften ihn laut aus, hielten ihn mitunter am Halsband fest. Die Reaktionen von Monty darauf waren, sich auf den Rücken zu werfen, um sich zu treten, es eskalierte regelrecht. Unten im Garten reagierte er in solchen Momenten weiter mit unwillkürlicher Rennerei, reagierte auf nichts mehr, nahm nichts mehr an ☹️ Wir mussten ihn regelrecht einfangen, weil er förmlich am Rad drehte. Natürlich reagierten wir mit lauter Stimme, Leinenzwang und anbinden, bis er wieder „runter kam“. Also mussten wir was tun, wir haben ja eine 5-jährige Enkeltochter, die wir nicht gefährden wollten durch sein Temperament.

Also war der nächste Gang zur Welpenstunde auf unserem alten Hundeplatz, auf dem wir jahrelang mit unserem Dexter übten. Es war toll, mal wieder alten Bekannten zu begegnen. Die erste Stunde verlief wirklich gut 😊 Für Monty war alles neu, er war noch unsicher. Seine Übungen für die Kleinsten meisterte er super. Über die Wippe und Balken laufen und das Bällebad. Der Tag war positiv, also haben wir uns zur nächsten Stunde wieder angemeldet. Wir haben uns darauf gefreut, aber dann lief alles anders wie gewollt. Er war total unruhig, Übungen funktionierten nicht mehr. Die ganze Aufmerksamkeit fiel auf die anderen Welpen. Er zog an der Leine, wollte überall hin, setzte sich, fing sich ständig an zu kratzen. Die Trainerin, die viele Jahrzehnte Hundeerfahrung hat, nahm sich seiner an. Sie sprach von Übersprungshandlungen, weil er in der Situation auf dem Hundeplatz merklich überfordert ist. Sie riet uns, erst mal alleine zu üben. Tja, das wars dann 😢

Nach vielen Jahren auf dem Hundeplatz kamen wir das erste Mal an unsere Grenzen. Plötzlich hinterfragt man, woran es liegt. Diese Probleme kannten wir gar nicht. Es lief sonst immer so gut. Und nun, ja, eine Antwort hatten wir nicht 🤷🏻‍♀️ Wochen vergingen, immer wieder die Situationen, in denen wir schon Angst hatten. Seine überschwänglichen Begrüßungen, oder eben Begegnungen mit Menschen, mit Fahrrad, Omas mit Rollatoren, Menschen mit Hunden. Es war schon immer wieder anstrengend. Wie reagiert er, motzt er, bellt er….?! Solche Situationen kannten wir halt weniger. Unsere Hunde waren da immer entspannt, haben sich für Begegnungen beim Spaziergang kaum interessiert. Diesmal war es halt immer unberechenbar. Entspannt Gassi gehen war irgendwie nicht mehr drin, man war immer froh, keinem zu begegnen. Aber das konnte es ja auch nicht sein, er musste ja damit umgehen können.

Irgendwann kam jedenfalls der Moment, der vieles änderte 💡 Im Chat der Welpengruppe las ich die Frage nach dem MDR1 Gendefekt und ob die Eltern getestet worden waren.  Mhhh, erstmal große Fragezeichen????? Was ist das, was bedeutet das? Dann fing ich an zu lesen und was ich da las, machte uns Angst. Recherchen zum Thema brachten uns erstmal nicht weiter. Bekannte, die beim Tierarzt arbeiteten, konnten uns auch nicht weiterhelfen. Die Meinungen gingen weit auseinander. Von “bei OP’s bräuchte man den Defekt nicht zu berücksichtigen” oder “ein MDR1 Hund ist förmlich schon zum Tode verurteilt”, inklusive mitleidiger Bemerkungen, was man sich da ins Haus geholt hat. Tja,was nun? Erstmal diesen Bluttest machen lassen war das Wichtigste. Wir wollten ja wissen, woran wir sind. Eine Zahn-OP stand ja an wegen Milchzähnen, die nicht raus fielen. Also haben wir die OP verschoben, der Bluttest war wichtiger. Im besten Fall wäre ja +/+ die Erlösung gewesen. Aber natürlich kam es anders wie gehofft, -/- war das Ergebnis des Befundes. So war es nun und wir mussten damit umgehen können.

Erstmal kam Verzweiflung hoch 😳 Nach diversen Kommentaren im Chat und die entspannte Haltung der Züchter zum Thema kam Wut hoch 😡 Wie kann man in diesem Fall zwei Trägertiere des Geneffekts, jeweils +/-, mit gutem Gewissen verpaaren, schwirrte mir im Kopf rum. Wenn man Glück hat, ist man nicht betroffen, aber 50 % der Tiere des Wurfes sind mindestens Trägertiere und vererben diesen weiter bzw. haben diesen Genddefekt geerbt. Das Ergebnis, wenn man keine Kenntnis von der Erbanlage hat, sind dann Tiere, die psychisch und physisch unter dem Defekt leiden.

Dieser Befund hatte trotzdem sein Gutes, er war die Antwort auf die offenen Fragen, die uns die ganze Zeit beschäftigten. Unser Kampfgeist war geweckt 💪🏻 Vorher kamen wir oft an unsere Grenzen, wussten nicht, ob wir das schaffen in Zukunft. Aber diese Gedanken spielten plötzlich keine Rolle mehr. Wir erkannten unsere Fehler. Bei der erhöhten Stressanfälligkeit haben wir das negative Verhalten mit unseren Reaktionen noch gepuscht. Alles geschah aus Überforderung, wir wussten es trotz Hundeerfahrung nicht besser. Inzwischen haben wir viel gelesen, saugen die Infos auf wie ein Schwamm. Nun gehen wir viel gelassener damit um und wir sind erstaunt, wie viel besser es nun läuft 🥳 Unsere Gassi-Runden sind jetzt viel entspannter. Es gibt natürlich noch Momente, in denen es etwas anstrengend wird, aber man hat nicht mehr das Gefühl, die Situation nicht in den Griff zu bekommen.

Es sind jeden Tag kleine Erfolge 🏆 die uns glücklich machen. Früher wäre das Kommando „Sitz“ sinnlos gewesen. Manchmal wollte man nur ein Foto machen. Aber je öfter man es probierte, desto hektischer wurde er wieder. Also Abbruch. Inzwischen wissen wir, was wir fordern können von Monty um ihn weiter zu fördern, damit wir ein tolles Team werden und unser Familienleben besser funktioniert. Er bestimmt das Tempo, damit wir langsam aber sicher ans Ziel kommen.

Heute ist nun endlich das Buch gekommen von Daniela zum Thema Gendefekt. Ich hatte es mir bestellt, aber mein Mann hatte es sich erst mal geangelt und wollte mal kurz durchschauen. Das Ergebnis: er kam nicht davon los 📖 Aber er musste dann zum Dienst. Er war schon begeistert, man erkennt viel an Monty, das im Buch steht. Es gibt sicher in Zukunft noch viele Situationen, die eine Herausforderung sind. Wir wissen aber nun, wie wir es händeln können. Unser Monty ist es allemal wert, dass wir ihn nicht aufgeben, nur weil es nicht immer so funktioniert, wie es sein soll. Aber so ist das Leben, ob Zweibeiner oder Vierbeiner, jeder hat Fehler oder Handicaps; kein Grund, jemanden abzuschreiben 💕

Das Wichtigste ist, ihn zu nehmen, wie er ist. Das Thema MDR1 ist wichtiger denn je und sollte kein Tabuthema sein. Viele wissen gar nicht, welche Rassen davon alle betroffen sein können bzw. ob ihr Hund auch so eine unverstandene Fellnase ist. Nicht immer ist ein Hund unerzogen oder sein Herrchen überfordert. Manchmal ist die Mutation und die Unwissenheit darüber die Ursache des Problems.»